Mehr Verkehrssicherheit durch Fahrerassistenzsysteme zum Schutz von Radfahrern und Fußgängern

Die DVW fordert die Fahrzeugindustrie auf, Notbrems- und Abbiegeassistenten zügig zu optimieren. So müsse der Notbremsassistent für Pkw auch Radfahrer sicher erkennen können. Lkw sollten vor einem Stauende bis zum Stillstand bremsen können. Abbiegeassistenten für Lkw müssen endlich von allen Herstellern angeboten werden.

Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) geht davon aus, dass durch entsprechend optimierte Notbremsassistenten bei etwa 43,5 Prozent aller schweren PKW-Unfälle Radfahrer und Fußgänger vor einer Kollision geschützt werden. Auch der Abbiegeassistent für schwere LKW könnte pro Jahr 28 Radfahrer das Leben retten und etwa 100 der schweren Verletzungen verhindern, wie eine Hochrechnung der UDV ergibt. Die Abbiegesituation birgt innerorts ein hohes Unfallrisiko, oft mit ernsten Unfallfolgen. Die Überwachung des vorderen Seitenbereichs hilft, Radfahrer früh zu erkennen und eine Kollision zu vermeiden.

Beschlussfassung

  • Die Technik der automatischen Notbremse soll sukzessiv auf alle Unfallarten mit Relevanz angepasst werden, sofern der Bremseingriff die Schadenslinderung oder sogar die Vermeidung der Unfallart verspricht.
  • Die dafür notwendige Weiterentwicklung soll bei Pkw durch Anreize motiviert werden, beispielsweise mit den Bewertungskriterien von Verbrauchertests.
  • Da für Lkw und Busse solche Tests nicht erfolgen, sind hier regulative Maßnahmen zu ergreifen, die eine möglichst schnelle Feldabdeckung auf Basis des Standes der Technik erreichen. Die bereits vorliegenden EU-Vorschriften (347/2012 /EC) und UNECE-Regelungen (R 131) sollten kurzfristig in ihren Anforderungen dem inzwischen vorliegenden Stand der Technik und vorliegenden Empfehlungen des DVR sowie des Bundesrates (Drucksache 676/16) angepasst werden.
  • Spezifisch für die Unfälle mit schwächeren Verkehrsteilnehmern beim Abbiegen von Lkw sollen diese mit angepasster Sensortechnologie, die die potenzielle Unfallgefahr zu erkennen vermag, verpflichtend ausgerüstet werden.
  • Als erste Stufe ist ein System zur Informationsassistenz zu wählen. Aber es soll gleich als Übergangssystem angesehen werden, mit dem die Erfahrung für die Entwicklung eines eingreifenden Nachfolgesystems gesammelt werden kann.

Problemstellung

Für Insassen von Pkw steigt die Sicherheit kontinuierlich an, was durch die abnehmende Zahl an Verletzten und Getöteten abzulesen ist. Neben verbesserter passiver Sicherheit moderner Autos können Fahrerassistenzsysteme wirksam insbesondere schwere Kollisionen reduzieren. Durch die Aufnahme der automatischen Notbremse (Autonomous Emergency Braking = AEB) in den Kriterienkatalog von Verbrauchertests wie EURO-NCAP ist der Großteil heutiger Neuwagen schon mit einer derartigen Technik ausgerüstet. Allerdings dient sie im Moment vor allem dem Eigenschutz vor Kollisionen mit "harten" Unfallgegnern. Hingegen werden für leichtverletzliche Verkehrsteilnehmer (Vulnerable Road Users = VRU) erst nach und nach in die Funktionalität einbezogen. Gerade für diese Gruppe könnten Notbremssysteme einen großen Beitrag zur Sicherheit leisten, wie Potenzialermittlungen ergeben. So wären nach Untersuchungen Der Unfallforschung der Versicherer (UDV) etwa 43,5% aller schweren Pkw-Unfälle mit VRU mit einem Notbremsassistenten mit VRU-Erkennung vermeidbar. Aber auch für Nutzfahrzeuge sollte die VRU-Erkennung für die mittlerweile verpflichtend vorgeschriebenen AEB-Systeme integriert werden. Entsprechende Maßnahmen plant die EU-Kommission in Ihrem bereits veröffentlichten 3. Mobilitätssicherheitsprogramm. Nicht nur größere Lkw werden aber noch in eine weitere, sehr relevante Unfallart mit VRU verwickelt, nämlich beim Abbiegen. Dabei werden Fußgänger, aber vor allem Radfahrer übersehen und kollidieren im Laufe des Abbiegeprozesses mit dem Lkw, was sehr oft schwere und schwerste Verletzungen nach sich zieht. Auch hier ist das Sicherheitspotenzial für VRU beträchtlich: Nach Hochrechnung der UDV könnten bei Ausrüstung aller schweren Lkw mit Abbiegeassistenten Unfälle mit etwa 28 getöteten und über 100 schwerverletzten Radfahrern pro Jahr vermieden oder in ihrer Schwere deutlich gemindert werden.

Stand der Wissenschaft

Die Basistechnik der automatischen Notbremse ist seit mehr als zehn Jahren entwickelt. Den Marktdurchbruch erlebte diese Technik mit Aufnahme in die einschlägigen Verbrauchertests wie EURO-NCAP für Pkw sowie durch die Verordnung von AEBS für Güterkraftfahrzeuge und Omnibusse. Dies führte zu hohen Stückzahlen, die wiederum die Kosten für die notwendige Technik wie Radar- und Kamera-Sensoren stark sinken ließ. Angespornt durch sukzessiv höhere Anforderungen der Verbraucherverbände wurde auch die Leistungsfähigkeit und damit auch die Abdeckung der Unfallszenarien immer größer. Nachdem fußgängererkennende Systeme inzwischen große Fortschritte erzielt haben, wird aktuell die Ausweitung auf Reaktionen zum Schutz von Radfahrern von EURO-NCAP vorbereitet. Trotzdem verbleiben heute noch Lücken in der Gesamtabdeckung aller Unfallszenarien. Zum Teil lassen diese sich mit kontinuierlicher Verbesserung der Systeme, insbesondere der maschinellen Wahrnehmung erreichen. So besitzen so genannte MIMO-Radarsysteme eine hohe räumliche Auflösung und die Auswertung des Mikro-Doppler-Signals erlaubt die sehr selektive Erkennung von bewegten Rädern. Auch in der Kamera-Technik sind weitere Fortschritte zu erwarten, auch wenn die Funktion bei Dunkelheit oder schlechtem Wetter weiterhin beeinträchtigt ist. Auch versprechen neue Lidar-Systeme ("Flash-Lidar") ohne bewegliche Komponenten eine preisgünstige Umfelderfassung. Alles in allem sind keine unüberwindlichen Hürden zu erkennen für eine mittelfristige Komplettierung aller Unfallszenarien, die mit einer automatischen Notbremse adressiert werden können. Dies gilt grundsätzlich auch für Lkw und Busse. Allerdings reichen für eine Marktdurchdringung derartiger Assistenzsysteme keine Verbrauchertests, sondern es bedarf regulativer Maßnahmen.

Eine weitere Besonderheit sind die Unfallszenarien beim Abbiegen. Wegen der geringen Übersichtlichkeit und den hohen Anforderungen an den Fahrer beim Absichern des Abbiegevorgangs werden noch zu oft Fußgänger, vor allem aber Radfahrer übersehen. Hier werden eigenständige Überwachungssysteme benötigt, die im seitlichen Bereich des Fahrzeugs, zumindest im aktuellen und zukünftig befahrenen vorderen Seitenbereich, insbesondere Radfahrer erkennen. Vom Sensorprinzip erscheinen Radar, Lidar und Kamera geeignet, diese Erkennung zu leisten. Allerdings sind wegen der spezifischen Anforderung größere Modifikationen vorzunehmen, weshalb hier Neuentwicklungen angestoßen werden müssen. Eine Notbremsauslösung aufgrund erkannter Radfahrer im Seitenbereich sollte mittelfristig erreichbar sein, sofern die Erkennungstechnik sich für ein informierendes System bewährt hat. Die Herausforderung ist hier, wie schon früher bei den Front-AEB, falsch positive Auslösungen zu vermeiden, wofür eine längere Felderfahrung benötigt wird. Sollte die im Rahmen der EU General Safety Regulation aktuell diskutierte verpflichtende Einführung von Informationsassistenz in Abbiegesituationen für Lkw ab 2020 Realität werden, könnte damit die Entwicklung auch für weitergehende, eingreifende Systeme vorgezeichnet werden.

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Erhöhung der Verkehrssicherheit durch Fahrerassistenzsysteme zum Schutz insbesondere von schwächeren Verkehrsteilnehmern
Beschluss der Jahreshauptversammlung // 2018 // Köln

Mehr Verkehrssicherheit durch Fahrerassistenzsysteme zum Schutz von Radfahrern und Fußgängern

Köln,

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