Fahrerassistenzsysteme Nutzfahrzeuge
Fahrerassistenzsysteme können erheblich zur Vermeidung von Verkehrsunfällen beitragen. Während ihre Verwendung in Personenkraftwagen erfreulich zunimmt, ist die Ausstattungsrate in Nutzfahrzeugen (Omnibusse, Lastkraftwagen und Anhänger) noch gering. Gerade angesichts der Schwerstunfälle mit Nutzfahrzeugen vor allem auf Autobahnen mit Toten, Verletzten und hohen volkswirtschaftlichen Schäden kommt der Ausrüstung solcher Fahrzeuge mit verkehrssicherheitshöhenden Fahrerassistenzsystemen als Standard-Ausstattung neuer Fahrzeuge besondere Bedeutung zu.

Beschlussfassung
Die Verkehrswachten fordern Fahrzeugindustrie und Flottenbetreiber auf, möglichst zügig solche Sicherheitssysteme zur Standardausrüstung ihrer schweren Nutzfahrzeuge zu machen. Das gilt in einem ersten Schritt vor allem für ausgereift verfügbare Fahrstabilitätsregelsysteme (ESP, ESC) nicht nur in Reisebussen, sondern auch in schweren Sattelkraftfahrzeugen und Lastkraftwagen, aber auch für Fahrspurverlassenswarner sowie Abstandsregeltempomaten und Notbremssysteme für alle schweren Omnibusse und Lastkraftwagen.
Problembeschreibung
Zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit hat die EU-Kommission 2009 mit der allgemeinen Sicherheitsverordnung 661/2009/EC mehrere Maßnahmen ergriffen. Unter anderem werden damit drei wichtige, verkehrssicherheitsrelevante Fahrerassistenzsysteme europaweit für neue Fahrzeuge zeitlich gestaffelt vorgeschrieben:
- In einem ersten Schritt wird der Einbau von elektronischen Fahrstabilitätsregelsystemen (EVSC), bekannt als ESP oder ESC, für alle neuen Fahrzeuge vorhandener Typen (Pkw, Omnibusse, Lkw und Anhänger) ab 1. November 2014 Pflicht. Für neue Fahrzeugtypen besteht die Ausstattungspflicht bereits seit 1. November 2011.
- In einem zweiten Schritt werden Spurverlassenswarner (LDWS, Lane Departure Warning Systems) sowie fortschrittliche Notbremssysteme (AEBS, Advanced Emergency Braking Systems) für neue Nutzkraftfahrzeuge über 3,5 t ab 1. November 2015, für entsprechende neue Fahrzeugtypen ab 1. November 2013 Pflicht. Im Falle von AEBS betrifft dies zunächst Busse mit mehr als 9 Sitzplätzen und Lkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 8 t, Druckluftbremsanlage sowie luftgefederter/n Hinterachse/n. Jeweils drei Jahre später müssen alle Lkw und Busse über 3,5 t mit AEBS ausgerüstet sein. Details und Ausnahmen von dieser Vorschrift sowie die gesetzlichen Wirkanforderungen an AEBS und LDWS wurden Anfang 2012 in den EU-Durchführungsverordnungen 347/2012/EC und 351/2012/EC veröffentlicht.
Elektronische Fahrstabilitätsregelsysteme (EVSC, ESP, ESC, RSS, ..) sind seit mehreren Jahren im Einsatz. Auch Spurverlassenswarner (LDW), Abstandsregeltempomaten (ART, ACC) und deren Weiterentwicklungen zu aktiven Notbremsassistenten (ABA) bzw. fortschrittlichen Notbremssystemen (AEBS) sind für Nutzfahrzeuge verfügbar. Die positive Wirkung entsprechender Systeme ist im Markt und durch mehrere wissenschaftliche Untersuchungen nachgewiesen. Unstrittig ist der erhebliche Nutzen dieser Systeme gerade auch für schwere Reisebusse sowie Lastkraftwagen und – im Falle der Stabilitätsregelsysteme – auch für Anhängefahrzeuge. Ein von der Berufsgenossenschaft Verkehr durchgeführter mehrjähriger Feldversuch weist nach, dass durch den breiten Einsatz verfügbarer Fahrerassistenzsysteme (hier ESP, LDW, ACC) mehr als 30 % aller LKW-Unfälle vermieden werden können. Der breite Einsatz von Notbremssystemen, die Kollisionen mit vorausfahrenden oder stehenden Fahrzeugen verhindern können, lässt eine noch deutlich höhere Unfallvermeidbarkeit erwarten.
Eine Ausrüstung nicht nur neuer Fahrzeugtypen, sondern aller neuen Fahrzeuge ist deshalb – früher als von der EU gefordert – so bald wie möglich wünschenswert.
Bisher auf dem Markt verfügbare Abstandsregeltempomaten (ART, ACC) erkennen und reagieren auf bewegte Ziele, d.h. voraus fahrende oder anhaltende Fahrzeuge, jedoch noch nicht zuverlässig auf stehende Ziele, z.B. Baustellensicherungsfahrzeuge. Dennoch tragen diese Systeme in erheblichem Maße zur Reduzierung von Unfällen bei, auch weil sie einen unaufmerksamen Fahrer bei der Erkennung von kritischen Situationen unterstützen und durch autonomes Bremsen die kinetische Energie reduzieren.
Fortschrittliche Notbremssysteme (AEBS) sollen gemäß den EU-Vorschriften
- eine real drohende Kollision mit einem Voraus-Fahrzeug als solche zuverlässig und automatisch erkennen sowie durch eine Warnung dem Fahrer Gelegenheit geben, durch geeignete Brems- oder Lenkmanöver eine Kollision selbst zu verhindern, und
- wenn keine Reaktion des Fahrers erfolgt, das Bremssystem des Fahrzeugs aktivieren, um eine Kollision mit vorausfahrenden, bewegten Zielen vollständig zu vermeiden oder – im Falle von stationären Zielen – die Auswirkung einer Kollision zu reduzieren.
Neue, auf dem Markt bereits oder zeitnah verfügbare fortschrittliche Notbremssysteme gehen über diese EU-Forderungen hinaus und führen nach entsprechender Fahrerwarnung bedarfsweise eine autonome Notbremsung durch, um eine drohende Kollision mit einem erkannten bewegten Ziel vollständig zu vermeiden beziehungsweise eine solche mit erkanntem stationären Ziel in der Wirkung erheblich zu reduzieren.
Die Deutsche Verkehrswacht erwartet deshalb von den Europäischen Nutzfahrzeugherstellern und ihren Systemlieferanten, dass die gemäß der EU-Verordnung ab 2013 als Standard einzusetzenden Notbremssysteme dem neuesten Stand der Technik entsprechen, fehlerhafte Warnungen sowie Bremsungen vermeiden, zuverlässig sowohl auf bewegte als auch stillstehende Voraus-Fahrzeuge warnen und im Bedarfsfall mit möglichst wirksamen Notbremsungen reagieren.
Unabhängig davon kann die erschreckende Zahl von Unfällen mit schweren Omnibussen und Last- und Sattelzügen und die verheerende Wirkung solcher Unfälle durch breiten Einsatz bereits auf dem Markt verfügbarer Fahrstabilitätsregelsysteme (ESP, ESC), Spurverlassenswarner (LDW), Abstandsregeltempomaten (ART, ACC) und Notbremssystemen kurzfristig reduziert werden.
Magdeburg, 02.06.2012